Paul und Helen von Wegen

Tauchen Sie ein in die schillernde Welt der Frachtpiloten voller Kuriositäten und waghalsiger Entscheidungen.

Sie haben es geahnt …

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… beide Beladungsvorgänge sind knifflig.

Kaum vorstellbar, dass die lange schwere Kiste sich nicht in der Ladeluke verkantet.
Wie bei einem Schwertschlucker auf dem Jahrmarkt.

Ist ein derartig langes und schweres Frachtstück erst einmal mittig in der Höhe zwischen Frachtboden und Kabinendecke ausbalanciert, können die zusätzlichen Zentimeter in der Rundung des Rumpfs helfen, es von Hand der Länge nach im Flieger auszurichten und auf dem Frachtboden abzulegen. Jetzt noch mit Spanngurten sichern – und ab geht die Post!

Be- und Entladen von Paletten mit Gabelstaplern

Beim Be- und Entladen von zum Beispiel Paletten mit einem Gabelstapler schiebt einer der Crew die Frachtstücke im Flieger so zurecht, dass der Staplerfahrer sie von außen entnehmen kann, ohne den Türrahmen zu touchieren. Das andere Crewmitglied steht draußen neben der Frachtluke und zieht die hochgeklappte Tür an einer Kordel Stück für Stück herunter, damit der Aufbau an der Front des Staplers nicht die Flugzeugtür berührt.

Mit dem Gabelstapler im Blindflug

Ab einem bestimmten Punkt schwebt die Unterkante der Frachtklappe nur noch wenige Millimeter über den Forken des Staplers, dessen Fahrer ab jetzt ohne Sicht auf sein Tun ausschließlich auf Zurufen der Crew und ihre Handzeichen die Paletten vor, seitlich oder zurück manövriert. Das funktioniert normalerweise sehr gut.

Dabei meinte er es nur gut

Vorher …
… einige Minuten später.

In diesem Fall jedoch wollte der frischgebackene Gabelstaplerfahrer in Ruhe schon mal mit dem Rangieren und Entladen beginnen. Nicht, dass sich der Flieger seinetwegen verspätete. Wir, die Crew, steckten schließlich noch im Terminal in der Security fest.

Zusammengedrückt wie ein Bierdeckel.
Egal, wie oft man es versucht, sie geht nicht mehr zu!
Jemand hat eine Idee und holt den Vorschlaghammer.

Das Panzertape sollte halten

“Das Panzertape hält bombenfest”, versichern uns die Helfer vor Ort und das Technikbüro in Köln übermittelt die Permit to Fly, eine Genehmigung für nur diesen einen Flug zur Überführung der Maschine in die Werft.

“Aber pumpt die Kabine nicht auf.” Die ernsten Mienen der sonst stets zu Scherzen aufgelegten Engländer unterstreichen die Ernsthaftigkeit ihrer Aussage.

Unsere Antwort: “Sollte es nicht funktionieren, seht ihr es heute Abend in der Tagesschau.”

Mit dem Vorschlaghammer in den Rahmen gezwängt und mit Panzertape versiegelt.

Der Start verläuft reibungslos

Auch wenn wir den Flug möglichst zügig hinter uns bringen möchten – in der Ruhe liegt die Kraft. Statt der geplanten sieben Kilometer Reisehöhe stoppen wir den Steigflug in 3000 Metern und 300 km/h reichen, um die Metro sicher in der Luft zu halten. Vielleicht würde ein 500 km/h schneller Fahrtwind auf dem zweieinhalbstündigen Flug zu sehr am Panzertape und der lädierten Tür zerren und sie doch noch aushebeln. Schlimmer wäre jedoch, wenn sie auf ihrem Weg in die Tiefe vorher gegen das Heck prallt und ein für den Weiterflug dringend benötigtes Bauteil, wie zum Beispiel das Höhenleitwerk, mitreißt.

Als wir über London hinwegfliegen, beschleicht uns das Gefühl, dass sich das Tape doch irgendwo gelöst haben muss.

Es zieht deutlich kältere Luft durch das Cockpit. Gleichzeitig ist von hinten ein leises Rauschen wie von einer im Kreis fahrenden Märklin-Eisenbahn zu hören.

Tausend Höllenhunde

Der Londoner Lotse erteilt uns die Anweisung, Funkkontakt mit Amsterdam aufzunehmen, und wir funken die Bestätigung zurück, als hinten im Flieger das Getöse losbricht.

Tausend Höllenhunde haben die Märklinbahn verdrängt und stimmen ihr endloses Geheul an.

Durch die Hintergrundgeräusche aufgeschreckt, fragt der Lotse: “Möchten Sie einen Notfall anmelden? Ich leite Sie zum nächstgelegenen Flughafen.”

Wir werfen einen kurzen Blick nach hinten. “Kein Notfall, alles okay.” Die entspannte Stimme überzeugt ihn.

An diesem Abend noch nicht in der Tagesschau

Und da wir in der Lage sind, diese Zeilen zu schreiben, können Sie sich vorstellen, dass wir nicht in der Tagesschau zu sehen waren – zumindest nicht an diesem Abend.

3 Antworten zu “Sie haben es geahnt …”